Das Gesundheitswesen steht vor einer gewaltigen Herausforderung: dem Spagat zwischen Patientensicherheit und Nachhaltigkeit. 

Die Pandemie hinterlässt eine enorme Menge an Abfall – Masken, Tests, Schutzanzüge – und doch ist dies nur die Spitze eines riesigen Müllbergs, der innovative Lösungen erfordert. 

Der Gesundheitssektor ist für 5,2 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich – allein in Deutschland. Damit sind die Emissionen fast so hoch wie die der Stahlindustrie. Jährlich fallen in deutschen Krankenhäusern rund 100.000 Tonnen medizinischer Abfall an. Die Gesamtmenge der Abfälle aus Krankenhäusern wird sogar auf 4,8 Millionen Tonnen pro Jahr geschätzt.

 

In diesem Zusammenhang verdeutlicht das Corona-Testkit ein Dilemma, das für den gesamten Gesundheitssektor gilt: die Zwickmühle zwischen Recycling und Wiederverwendbarkeit einerseits und Patientensicherheit und Sterilität andererseits.

Um diesen Zwiespalt aufzulösen, müssen zwei grundlegende Dimensionen berücksichtigt werden: das System, in dem das spezifische Produkt funktioniert, und sein regelnder und logistischer Rahmen.

Das System

Die wirtschaftliche Sammlung von Wertstoffen ist von entscheidender Bedeutung, aber für Einrichtungen des Gesundheitswesens ist dies oft eine komplexe Aufgabe. Die größte Herausforderung besteht darin, die Wertstoffe so zu sammeln, dass sie den gängigen Recyclingverfahren zugeführt werden können. In Kliniken und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens werden jedoch hauptsächlich Verbrauchsmaterialien wie Glas, Papier oder Pappe für die Sammlung getrennt. Alles andere wird in der Regel dem Restmüll zugeführt und mit kontaminierten Krankenhausabfällen vermischt.

 

In Anbetracht der ohnehin schon hohen Arbeitsbelastung des Gesundheitspersonals ist es unrealistisch, eine viel genauere Trennung der Abfälle zu fordern, vor allem weil viele Medizinprodukte aus schwer zu klassifizierenden Kombinationen bestehen.

Erwähnenswert ist eine Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG): Ab 2021 sollen nach §9 auch kontaminierte Medizinprodukte der stofflichen Verwertung zugeführt werden können. Dies kann insbesondere für wertvolle Medizinprodukte wie EP-Katheter interessant sein, da so wertvolle Metalle zurückgewonnen werden können. Dieses Gesetz entspricht dem Green Deal und dem Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft der Europäischen Union, und es sind weitere Anpassungen und Verschärfungen des Rechtsrahmens zu erwarten.

 

Welche Möglichkeiten gibt es also für das Recycling von Medizinprodukten?

Kooperation für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung

 

Bei wertvollen Produkten – einschließlich Einwegartikeln – kann die Einführung innovativer Geschäftsmodelle wie Pay-per-Use- oder Pfandsysteme Sinn machen. Um wertvollere Einweg- oder Verbrauchsartikel kosteneffizient zu sammeln, reichen die Materialflussanteile der einzelnen Hersteller oft nicht aus. Es gibt vielversprechende Ansätze, ein herstellerübergreifendes Rücknahmesystem zu etablieren und so Synergiepotenziale zu nutzen.

Um den Prozess zu verschlanken, können Hersteller die Federführung bei der strukturierten Entsorgung in der Branche übernehmen.  Das reduziert nicht nur den bürokratischen Aufwand, sondern steigert auch die Rentabilität und verschafft uns einen Vorsprung vor der Billiglohnkonkurrenz. 

 

Diese systemischen Ansätze sind jedoch in hohem Maße von der Art der im Gesundheitssektor verwendeten Produkte abhängig, die früher oder später dem Recyclingstrom zugeführt werden.

Das Produkt

Das Produkt ist der Wirkungsbereich, in dem bereits in der Produktentwicklung die Weichen für eine anschließende effiziente Wiederverwendung gestellt werden sollen.

Da kostenintensive Zulassungsverfahren im medizinischen Bereich oft kleine Änderungen wie die Verwendung eines nachhaltigen Alternativmaterials unwirtschaftlich machen, sollte jede Gelegenheit zur Produktüberarbeitung oder Neuentwicklung genutzt werden, um die Produkte recyclinggerecht zu gestalten.

 

In unserem Streben nach Nachhaltigkeit müssen wir die Lebenszyklen von Gesundheitsprodukten analysieren. Können wir Einwegprodukte entwickeln, die als kontaminierter Abfall mit unkritischen Materialien verbrannt werden?

Kriegen wir den Kreislauf geschlossen?

Ein erster Schritt in diesem Prozess besteht darin, zu analysieren, in welchen Kreisläufen das Produkt zirkulieren könnte. Handelt es sich zum Beispiel um ein Einwegprodukt, das ohnehin als kontaminierter Abfall verbrannt wird, ist es sinnvoll, entsprechend unkritische Materialien zu verwenden und den Materialeinsatz zu minimieren. Können die Produkte zurückgenommen, wiederverwendet oder recycelt werden, ist zu prüfen, ob das Produkt auch aus nur einem Material bestehen kann oder ob die Materialien im Recyclingprozess getrennt und damit sortenrein recycelt werden, oder ob sogar wertvolle Bestandteile wiederverwendet werden können. Die Wiederaufbereitung bzw. das Recycling muss im Entwicklungsprozess ebenso intensiv berücksichtigt werden wie die eigentliche funktionale Nutzung.

Nur wenn beide Dimensionen – System und Produkt – gleichzeitig betrachtet werden, lassen sich die besonderen Herausforderungen im medizinischen Bereich meistern.